Vielfalt statt Einfalt: Dominik Ledea auf Leipziger CSD-Truck
von Simone Liss | 12.08.2024
von Simone Liss | 28.05.2024
Im Berufsalltag ist das Thema Vielfalt mit all seinen Dimensionen präsenter denn je. Denn klar ist: Jeder Mensch wünscht sich, als Individuum wertgeschätzt zu werden. Niemand möchte Vorurteilen ausgesetzt sein. Theoretisch. Und praktisch? Wir haben anlässlich des Diversity-Tags am 28. Mai bei vier Führungskräften der Leipziger Gruppe nachgefragt, welchen Stellenwert Diversität in ihren Teams hat, was sie für Chancengleichheit tun und wo es Nachholbedarf gibt.
Wo Menschen sind, ist Reibung. Und wo Reibung ist, entsteht Wärme. Sie kann wohlig sein, aber auch hitzig. Wie auch immer diese Energie empfunden wird – sie ist da und will raus. Katja Steffens und ihr 24-köpfiges Team packen beim täglichen Team-Meeting alles auf den Tisch, was die Mannschaft bewegt: neue Produkte, Arbeitspensum, Einsatzpläne – Formalitäten. Doch auch die informelle Kommunikation spielt in diesen „Dailys“ eine große Rolle: das Arbeitsklima, Gleichbehandlung, der Dialog untereinander, Spannungen, Privates, das das Berufliche tangiert, die Qualität der Zusammenarbeit, Vertrauen, Loyalität und Integration.
„Das Spannende dabei: Unsere soziale, ethnische und kulturelle Herkunft, unsere Erziehung, unser Alter, unsere Erfahrungen, unsere Bildung, unser Glauben, unser Geschlecht, unsere sexuelle Orientierung beeinflussen diese informelle Kommunikation – ob wir es wollen oder nicht. Wir können nicht aus unserer Haut“, sagt Katja Steffens, Teamleiterin Kundenbetreuung im Stadtwerke-Beratungszentrum in der Pfaffendorfer Straße. „Doch wir können miteinander ausloten, wo unsere Grenzen sind und ob wir bereit sind, sie aus guten Gründen zu verschieben.“
Die Leipziger Gruppe lebt Vielfalt und macht sich für Chancengleichheit stark.
So vielfältig wie die Gesellschaft ist, so vielfältig ist das Team von Katja Steffens. Migration, Transidentität, Schwerbehinderung, Altersdiskriminierung, stereotype Verhaltensweisen – all diese Dimensionen tangieren das tägliche Miteinander. Davor können und wollen Katja Steffens und ihr Team nicht die Augen verschließen. „Wir gehen offen mit Konflikten um und nehmen Rücksicht auf die Bedürfnisse jedes Einzelnen. Niemand von uns ist perfekt. Wir haben alle unsere Stärken und Schwächen. Doch wenn wir zusammenhalten, wenn einer hinter dem anderen steht, kann uns so leicht nichts erschüttern.“
Ihr Team-Maskottchen – ein Pinguin – symbolisiert diese Haltung. Diese Tiere gelten gemeinhin als tollpatschig und trantütig. Auf den ersten Blick denken viele Menschen: Fehlkonstruktion. Doch unter Wasser ist ein Pinguin ein hervorragender Schwimmer, Jäger, Unterwasser-Tänzer. „Diese Tiere haben mich zwei Dinge gelehrt. Erstens: wie schnell ich oft urteile, und wie ich damit komplett daneben liegen kann. Und zweitens: wie wichtig das Umfeld ist, ob das, was man gut kann, überhaupt zum Tragen kommt“, sagt Katja Steffens.
Hamza Al Mansour ist das beste Beispiel dafür. Der Grundschullehrer floh 2015 von Syrien nach Deutschland. Über eine Zwischenstation in Baden-Württemberg kam er nach Leipzig und heuerte in einer Security-Firma an, die für das Beratungszentrum der Leipziger Stadtwerke arbeitete. Hamza übersetzte, schlichtete, lernte schnell Deutsch. „Wir haben seine herzliche, kommunikative Art sehr geschätzt und schnell erkannt, dass er gut in unser Team passen würde. Wir haben uns sehr gefreut, dass er unser Arbeitsangebot angenommen hat. Uns war bewusst, dass er nicht der beste E-Mail-Schreiber ist, aber seine verbindende, deeskalierende Art war und ist für uns alle ein Gewinn“, sagt Katja Steffens.
Ähnlich gute Erfahrungen hat auch Martin Hagedorn, Leiter der Leipziger Sportbäder, gemacht. „Wir haben zwei Kollegen aus dem Iran und Irak für uns gewonnen, die mittlerweile von allen etablierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern als Gewinn betrachtet werden. Die anfänglichen Vorbehalte haben die beiden mit Herz und Verstand ausgeräumt. Beide haben vielen ,alten Hasen‘ beim Übersetzen, Vermitteln, Deeskalieren geholfen und bewiesen, dass ein offenes Herz, Freundlichkeit und Anstand entscheidender sind als Herkunft und Halbwahrheiten.“
Doch Hagedorn hat auch andere Erfahrungen gemacht: Alles, was man deckelt, entlädt sich irgendwann. Ein Grund mehr, vorzubauen. „Uns ist eine offene Debattenkultur wichtig. Unser Publikum ist divers, unsere Mitarbeiterschaft wird langsam diverser, die Diskrepanzen in unseren Bädern sind divers – eine Herausforderung. Wir haben deshalb angefangen, allen Kolleginnen und Kollegen unter anderem interkulturelle Trainings anzubieten und sensibilisieren sie für gesellschaftliche Entwicklungen, um möglichen Konflikten professionell und souverän zu begegnen.“
Was heißt, die Mitarbeiterschaft wird diverser? „Wir sind im Vergleich zu anderen kommunalen Unternehmen schon sehr bunt gemischt. Die Altersspanne unserer rund 80 Mitarbeiter liegt zwischen 16 und 64 Jahren – Frauen wie Männer, Fachkräfte wie Quereinsteiger, Vollzeit- wie Teilzeitbeschäftigte, heterosexuelle und homosexuelle Kolleginnen und Kollegen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ohne und mit Handicap, ohne und mit Migrationshintergrund. Doch wir haben noch viel Luft nach oben – vor allem, was Bewerber aus anderen Kulturkreisen betrifft. Ich empfinde kulturelle und sprachliche Vielfalt als Bereicherung – privat wie beruflich“, sagt Hagedorn.
War er selbst schon mal an seinen Grenzen? „Ja, natürlich. Vor kurzem hat sich eine nonbinäre Person bei mir vorgestellt, und ich wusste nicht, wie ich sie ansprechen sollte. Auch ich lerne dazu“, sagt der 36-Jährige.
Manchmal braucht es Rückschläge, um vorwärtszukommen. Diese Lehre hat Ronny Tornau, Leiter der LVB-Bus-Werkstatt in Lindenau, gezogen. Nach Konflikten innerhalb des Teams hat Tornau die Notbremse gezogen, die Projektgruppe „Werkstatt im Wandel gegründet“ und sich professionelle Begleitung gesucht, um einen Leitbild-Prozess in Gang zu setzen. „Viele meiner 33 Mitarbeiter – ein Drittel von ihnen ist älter als 60, ein Drittel von ihnen älter als 50 – merken gerade, dass sie mit Vorurteilen und Abwehrhaltung nicht weiterkommen. Wir erleben einen enormen Fachkräftemangel. Schichten können nur noch schwer besetzt werden. Programme wie ,Mitarbeiter werben Mitarbeiter‘ verfangen kaum. Bewerbungen, die uns erreichen, sind fast ausschließlich von Menschen mit Migrationshintergrund“, sagt Tornau. „Vor dem Hintergrund dieser Fakten kommen wir nicht umhin, uns zu öffnen. Wir beschäftigen gerade zwei Kollegen mit Migrationshintergrund, die einen perfekten Job machen und absolut überzeugend sind. Wenn ihr Beispiel Schule macht, dann werden wir auch Denk-Barrieren überwinden. Und dabei geht es doch bei Chancengleichheit: Barrieren zu überwinden.“
Sabine Minet, Managerin Diversity, Inclusion, CSR-Projekte und Inklusionsbeauftragte der LVB-Gruppe
Wer Ronny Tornau mit allen Kräften unterstützt: Sabine Minet. Ihr offizieller Titel: Managerin Diversity, Inclusion, CSR-Projekte und Inklusionsbeauftragte der LVB-Gruppe. Eine große Aufgabe. „Unsere Teams werden immer vielfältiger in Bezug auf Alter, Geschlecht, sexuelle Orientierung, physische Fähigkeiten, ethnische Zugehörigkeit und Religion beziehungsweise Weltanschauung. Und das ist gut so, weil wir damit bessere Lösungen für unsere Kunden finden können. Aber es stellt uns auch vor große Herausforderungen. Vielfalt kann durchaus anstrengend sein, wenn ganz verschiedene Bedürfnisse oder Sichtweisen auf ein Thema zusammenkommen. Damit Vielfalt ein Erfolgsfaktor wird, dürfen wir sie nicht nur zufällig entstehen lassen, sondern müssen sie bewusst managen.“ Dazu gehöre auch, sich der schon bestehenden Vielfalt bewusst zu werden.
Der Ansatz von Diversitätsmanagement sei es, in der Vielfalt der Fähigkeiten, Sichtweisen, Erfahrungen und Talente vielfältiger Menschen wichtige gesellschaftliche, kulturelle, aber im Unternehmenskontext auch ganz klar wirtschaftliche Chance zu sehen.
Dass positive Erfahrungen die Offenheit gegenüber Neuem fördern – davon ist auch Ulf Middelberg, Geschäftsführer der Leipziger Gruppe, überzeugt: „Respekt, Toleranz und eine demokratische Grundhaltung brauchen wir dringend, um zum Beispiel Fachkräfte von Morgen für unsere Unternehmen zu gewinnen und die Wissensträger von Heute zu halten.“
Wie es sich anfühlt, wenn man dem Arbeitgeber wichtig ist und trotz aller Unbilden „gehalten“ wird, hat Tina Müller, Abteilungsleiterin Kaufmännische Grundsatzfragen bei den Leipziger Stadtwerken, erfahren: „Auch Handicaps können vielfältig sein. Ich selbst bin nach einer schweren Erkrankung beeinträchtigt, zudem noch alleinerziehend und als Frau in der männerdominierten Energiewirtschaft vermeintlich benachteiligt. Chancengleichheit bedeutet für mich auch Fairness und Fürsorge. Ich habe trotz aller Umstände bei den Leipziger Stadtwerken Karriere machen können – das bedeutet mir sehr viel. Mir wurden Arbeitsbedingungen geschaffen, die es mir ermöglichen, in allen Lagen meinen Aufgaben nachzukommen. Das ist für mich gelebte Vielfalt.“
Ein wertschätzendes und vorurteilfreies Arbeitsumfeld ist für die 48-Jährige keine Phrase, sondern eine Passion: „Wir diskutieren innerhalb des Teams auch durchaus kontrovers und kritisch, aber immer gilt unser Leitsatz: ,Wir respektieren Deine Meinung, aber wir teilen sie nicht ohne Wenn und Aber.‘ Grenzen zu setzen und zu achten – für Tina Müller ein Ausdruck der Achtung vor sich selbst und anderen.