Benachteiligung und Diskriminierung: keine Seltenheit im Arbeitsalltag
Kann man Vielfalt, Chancengleichheit und Inklusion voneinander abgrenzen oder bedingen alle drei Prinzipien einander?
Die drei haben unterschiedliche Bedeutungen, ergänzen sich aber gegenseitig. In den Begriffen steckt viel drin, kurz würde ich es so definieren: Vielfalt ist erst einmal ein Fakt oder eine Beobachtung. Chancengleichheit wäre der Zustand, den wir erreichen müssten und Inklusion die Form des Miteinanders, in der alle integriert sind. Ich würde noch Antidiskriminierung dazu packen: Denn Vielfalt ist ja nicht neutral – im Sinne von „ach, wie schön, dass wir alle so unterschiedlich sind“ –, sondern mit den Unterschieden gehen auch Benachteiligungen und Diskriminierung einher. Das heißt, Menschen bleiben Türen aufgrund bestimmter Merkmale verschlossen.
Was haben Sie persönlich und beruflich erlebt, dass Sie sich für die Themen Diversität und Antidiskriminierung stark machen?
Das Thema Gerechtigkeit hat mich schon immer beschäftigt. Irgendwann habe ich bewusst angefangen, mehr Menschen zuzuhören, die andere Erfahrungen machen als ich. Mein privates Umfeld ist da auch ein guter Spiegel und zeigt mir immer wieder, wie viele gesellschaftliche Vorteile ich genieße. Diversität ist kein Thema von oder für Minderheiten, sondern betrifft alle. Ich kann das wie eine Brille nutzen, durch die ich durchschaue und plötzlich mehr Ungleichheit wahrnehme.
Wie erleben Sie Diversität und Chancengleichheit in Ihrem Arbeitsalltag?
In unserer Kommunikationsberatung Lots* sprechen wir mehr Diversitäts-Themen an als bei anderen Unternehmen. Vor kurzem haben wir uns im Team Zeit genommen, über erlebten Sexismus und Geschlechter-Klischees zu sprechen, die wir im Arbeitsalltag erfahren. Natürlich haben auch die Männer darüber nachgedacht, wo ihr Geschlecht im Arbeitsalltag eine Rolle spielt. Für die Betroffenen heißt das: Du wirst mit dem Thema gesehen, es gibt Unterstützung aus dem Team und der Leitung. Wir können dadurch die Dinge beim Namen nennen und das hilft, sich als Organisation weiterzuentwickeln. Auch Lots* ist in einem Lern- und Veränderungsprozess.
Wo tun sich Arbeitgeber und -nehmer diesbezüglich noch am schwersten?
Es fehlt immer noch an praktischem anwendbarem Wissen zu dem Thema Diversität. Dann kommt vielen das Thema so riesig vor und das demotiviert eher. Arbeitgeber sind ja per Gesetz – dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz, AGG – dazu verpflichtet, Diskriminierung zu unterbinden. Oft fehlt aber das Wissen, was Diskriminierung ist, wie sie wirkt und wie man darüber überhaupt sprechen kann, ohne in Fettnäpfchen zu tappen oder unabsichtlich weiter zu diskriminieren.
Die Alltagsdiskriminierung ist in den vergangenen Jahren eher mehr geworden als weniger. Die Grundablehnung der Vielfalt hat anscheinend zugenommen. Wie kann man im beruflichen Kontext dagegen angehen?
Ich denke nicht, dass die Vielfalt mehr abgelehnt wird als früher. Stattdessen ist sie so präsent, dass einfach mehr darüber gesprochen, heftig diskutiert und auch gestritten wird. Wenn Konflikte auftreten, heißt das auch, dass das Thema nicht mehr unter den Teppich gekehrt wird. Menschen, die Diskriminierung erfahren, melden sich zu Wort. Das ist erst einmal positiv! Wenn ein Mitarbeiter oder eine Mitarbeiterin sich aber bewusst abwertend gegenüber anderen verhält, disqualifiziert er oder sie sich ja selbst. Da wäre dann ein Gespräch mit der entsprechenden Führungskraft und gegebenenfalls auch disziplinarische Maßnahmen der richtige Weg.
Das können Unternehmen für Fairness und gegen Vorurteile tun
Was kann ein Unternehmen tun, um sich bewusst zu machen, ob es innerhalb der Organisation fair, vorurteilsfrei und barrierefrei zugeht?
Leider müssen wir davon ausgehen, dass es nirgendwo einfach so fair und ohne Vorurteile zugeht. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen sind einfach nicht so. Menschen nach ihren Erfahrungen und Bedürfnissen zu befragen, wäre aber ein guter erster Schritt.
Auf welche Hürden bei der Umsetzung von Initiativen zur Chancengleichheit und Vielfalt stoßen Sie immer wieder?
Es braucht Zeit und Ressourcen, sich mit dem Thema zu beschäftigen und wirklich etwas zu verändern. Manchmal wird unterschätzt, dass es sich um einen Transformationsprozess für die Organisation handelt und es nicht mit einem Projekt getan ist.
Was sind unbewusste Vorurteile und wie können wir diese überwinden, um eine Arbeitsplatzkultur im Sinne der Vielfalt und Chancengleichheit zu schaffen?
Grundsätzlich haben wir alle Vorurteile. Nur gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen, sagen wir, einem Vorurteil gegenüber Kleingärtnern und dem Vorurteil gegenüber Migranten: Denn Migrantinnen und Migranten werden in der Gesellschaft mit rassistischen Zuschreibungen konfrontiert und damit als Gruppe benachteiligt. Sie lassen sich leider nicht einfach überwinden. Wenn ich aber ein Bewusstsein dafür schaffe, kann ich vermeiden, dass sich Menschen immer wieder beispielsweise durch unpassende Fragen zu ihrem Geschlecht oder Herkunft ausgegrenzt fühlen.
Welche drei wichtigsten Tipps würden Sie Unternehmen geben, die sich neuen Zielgruppen, neuen Märkten und neuen Arbeitnehmern mit einer vielfältigen Belegschaft öffnen wollen?
Als erstes: zu den Versprechen stehen. Es reicht nicht, eine großartige geschlechtergerechte Ansprache in der Kommunikation zu machen, wenn dann keine Rahmenbedingungen für die Beschäftigung von Frauen gegeben sind. Sich weibliche Auszubildende im Betrieb beispielsweise nicht umziehen können, weil keine Umkleiden für sie da sind.
Zweitens: Vielfalt immer mitdenken. Bei der Entwicklung von neuen Produkten und Dienstleistungen gleich verschiedene Perspektiven und Erfahrungen einbeziehen. Ein Beispiel ist, dass Frauen oft andere Arten von Wegen zurücklegen als Männer und die Planung im ÖPNV das lange nicht berücksichtigt hat.
Drittens: Chancengleichheit ist ein Prozess. Veränderungen passieren nicht von heute auf morgen, sondern brauchen einen langen Atem und eine gute Strategie, die das Thema auf kleine Schritte herunterbricht.