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Grünes Licht aus Sachsen und Sachsen-Anhalt: REFILL-Projekt nimmt weitere große Hürde

von Simone Liss | 15.04.2025

Die Leipziger Stadtwerke wollen auch mit CO2-neutraler Abwärme aus der Raffinerie Leuna künftig für warme Wohnungen in Leipzig sorgen. Dafür ist eine 19 Kilometer lange Fernwärmetrasse geplant. Die Genehmigungsbehörden unterstützen das Vorhaben.

Grünes Licht aus Sachsen und Sachsen-Anhalt für das Leipziger-Stadtwerke-Projekt REFILL: Thomas Pleye, Dr. Maik Piehler, Clemens Schülke, Karsten Rogall und Béla Bélafi (v.l.n.r.) mit einem Schaubild, das den Verlauf der Fernwärmetrasse von Leuna nach Leipzig zeigt.

Grünes Licht aus Sachsen und Sachsen-Anhalt für das Leipziger-Stadtwerke-Projekt REFILL: Thomas Pleye, Dr. Maik Piehler, Clemens Schülke, Karsten Rogall und Béla Bélafi (v.l.n.r.) mit einem Schaubild, das den Verlauf der Fernwärmetrasse von Leuna nach Leipzig zeigt.

Sie haben den Trassenverlauf fest im Blick Marcus Krüger, Nadine Zitzmann und Claudia Friedrich (v.l.n.r.).

Dieser Mann hat eine lange Leitung. Bald zumindest. Marcus Krüger und sein Team planen eines der größten Bauvorhaben der Leipziger Stadtwerke: Eine 19 Kilometer lange Fernwärmetrasse von der TotalEnergies-Raffinerie in Leuna (Sachsen-Anhalt) zum Heizwerk der Leipziger Stadtwerke im Markranstädter Ortsteil Kulkwitz. Krüger, Spezialist für Energiewirtschaft, ist guter Dinge: „Der Trassenverlauf steht nach vierjähriger Planung und umfassender Umweltverträglichkeitsprüfung. Gemeinden, Anlieger und Grundstückseigentümer sind einbezogen, informiert und angehört worden. An der einen oder anderen Stelle gab es Bedenken, die wir entkräften konnten, da die individuelle Betroffenheit sehr gering ist, und die Flächen nach dem Bau weiter genutzt werden können. Die Suche nach möglichen Kampfmitteln läuft aktuell noch bauvorbereitend. Die archäologische Erkundung und Erfassung von Überresten vergangener Zeiten ist – bis auf die Flächen rund um Spergau – fast abgeschlossen. Aktuell werden 13 Lose für die Bauphase europaweit ausgeschrieben und noch bis Juli verhandelt.“

Querung von ICE-Trasse, Saale und Autobahn 9 eine Herausforderung

Die Unterquerung der Saale wird eine besondere Herausforderung.

Nun geben auch die zuständigen Genehmigungsbehörden – die Landesdirektion Sachsen und das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt – grünes Licht. Am 17. April wollen Thomas Pleye, Präsident des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt, und Béla Bélafi, Präsident der Landesdirektion Sachsen, den Geschäftsführern der Leipziger Stadtwerke, Karsten Rogall und Dr. Maik Piehler, die Planfeststellungsbeschlüsse übergeben. „Diese Beschlüsse sind nach der nun abgelaufenen Klagefrist bestandskräftig und kommen einer Baugenehmigung gleich“, sagt Krüger. Voraussichtlich im Herbst soll der Bau der Fernwärmetrasse starten. Besondere Herausforderungen werden die Querung der ICE-Trasse bei Spergau, die Unterquerung der Saale bei Wengelsdorf und die Unterquerung der Autobahn 9 in elf Metern Tiefe sein.

Das Vorhaben der Leipziger Stadtwerke wird unter dem Projektnamen „RE=FILL“ (Raffinerie Energie = Fernwärme aus industrieller Abwärme von Leuna nach Leipzig) geführt. „RE=FILL“ steht dabei für das „Nachfüllen“ des Heißwasserbedarfs in Leipzig mit ungenutzter Industrieabwärme vom Chemiepark Leuna. „In der Raffinerie und der Methanol-Anlage ist industrielle Abwärme mit bis zu 83 Megawatt Leistung auf dem Fernwärme-Temperaturniveau ganzjährig verfügbar und soll perspektivisch ausgekoppelt und nach Leipzig geleitet werden. Die identifizierte Wärmemenge entspricht etwa 38 Prozent des Fernwärmebedarfs von Leipzig. Rein rechnerisch können also 100.000 Leipziger Wohnungen damit CO2-frei beheizt werden. Bisher wird diese Abwärme aus den Produktionsprozessen ungenutzt – überwiegend über Luftkühler – an die Umgebung abgegeben“, sagt Krüger.

Das RE=FILL-Projekt in Zahlen

Eine Baggerschaufel, die für Ausgrabungen entlang der Fernwärmetrasse genutzt wird.

  • 19 km Trassenlänge
  • voraussichtliche Fertigstellung: Februar 2028
  • Vor- und Rücklauf mit Kunststoffmantelrohren von 70 cm Innen- und 90 cm Außen-Durchmesser 
  • Querung von 515 Flurstücken
  • über ca. 22 Wärmeübertrager-Anlagen wird der kalte Fernwärmerücklauf wieder auf bis zu etwa 125°C Vorlauftemperatur gebracht
  • mehr als 160 Mio. Euro Gesamtinvestitionen, davon 70 Mio. aus der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (BEW)
  • 3 Mio. Tonnen CO2-Vermeidung über die Laufzeit
  • preisstabile Beschaffung bis 2048 gesichert

Ton, Steine, Scherben: Warum die Fernwärmetrasse für Archäologen eine Fundgrube ist

Eine Tonscherbe aus der Zeit der Stichbandkeramik. Sie wurde bei der archäologischen Prospektion der Fernwärmetrasse gefunden.

Als der Göteborger Prähistoriker Nils Niklasson vor mehr als 100 Jahren im Zug des Baus der Bahnstrecke Merseburg­­–Leipzig–Leutzsch im Leunaer Ortsteil Rössen ein jungsteinzeitliches Gräberfeld aus der Zeit 4600 bis 4450 vor Christus entdeckte, befeuerte das die Fantasie vieler Schatzsucher. Im Siedlungsgebiet zwischen Saale, Unstrut und Weißer Elster gab und gibt es offenbar etwas zu holen. „Seit jeher sind hier illegale Goldgräber und Sondengänger auf der Suche nach Münzen, Munition und Schmuck unterwegs“, sagt Jochen Fahr vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Der spektakulärste Fall dieser Art: Am 4. Juli 1999 entdecken auf dem Mittelberg zwei Sondengänger einen vermeintlichen Eimerdeckel, der sich später als Sensationsfund entpuppt und zum Kriminalfall wird: die Himmelsscheibe von Nebra. Es ist die älteste konkrete Sternenabbildung der Menschheitsgeschichte – und von unschätzbarem Wert.

Schaufenster in die Vergangenheit

Die Archäologen Christian Rauh (l.) und Jochen Fahr.

Doch der Fund hat mehrere Haken. Zum einen darf man in Sachsen-Anhalt nicht einfach mit Sonden losziehen und in Böden graben. Zum anderen ist im Denkmalschutzgesetz des Landes das sogenannte „Schatzregal“ verankert: Das bedeutet, dass im Boden gefundene Schätze Eigentum des Staates sind und damit nicht in privaten Sammlungen verschwinden dürfen. Bodenschätze sind Kulturgut. So auch die Tonscherben aus der Zeit der Linienbandkeramik (5500 bis 4800 vor Christus) und Stichbandkeramik (4900 bis 4600 vor Christus), die die beiden Archäologen Jochen Fahr und Christian Rauh im Sommer 2024 bei Ausgrabungen entlang der geplanten Fernwärmetrasse zwischen der Total-Raffinerie Leuna und Kulkwitz gefunden haben.

13 Kilometer Ackerland zwischen Leuna und der Landesgrenze zu Sachsen bei Nempitz haben die beiden Forscher und ihre Mitarbeiter unter die Lupe genommen, um mögliche Fundstellen-Bereiche vor dem Baustart untersuchen zu können. Dafür wurden zwei vier Meter breite Schnitte im Baufeld angelegt. Auf dem Übergang zwischen Mutterboden und Unterboden, in einer Tiefe von 30 bis 70 Zentimetern, lag dabei das besondere Augenmerk der Altertumsforscher. In diesem Horizont deuten dunkle Flecken, die sich im hellen, mit Geröll und Schotter durchzogenen Boden abzeichnen, auf vorchristliche Siedlungen oder auf Grubenreihen aus der späten Bronzezeit hin. „Von ihnen gibt es hier tausende. Sie sind für uns ein Schaufenster in die Vergangenheit“, sagt der 49-jährige Fahr, der im Anschluss an die Ausgrabungen auch Funde – zumeist Teile von Vorratsgefäßen, Urnen, Steinbeilen, Skeletten – wissenschaftlich dokumentiert, nachdem sie gereinigt, gelistet, verpackt, codiert und ins Zentraldepot des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle, in die Brachwitzer Straße, gebracht worden sind.

Was Fahr und Rauh an der zukünftigen Fernwärmetrasse zwischen Leuna und Kulkwitz noch zu finden erhoffen? „Weder das Bernsteinzimmer, noch die Gießerei der Himmelsscheibe von Nebra“, sagen sie augenzwinkernd. „Aber vielleicht das: Antworten auf die Fragen, wie unsere Vorfahren ihre Schuhe von Kälte und Nässe geschützt oder Essen haltbar gemacht haben. Wir haben beispielsweise bei Köthen Scherben von sogenannter Briquetage-Keramik, Herdgruben und zahlreiche Schweineknochen gefunden, die typischerweise für das Salzsieden und Pökeln verwendet wurden. Uns interessiert auch, wie die Menschen damals Wärme gespeichert haben." Ein Fernwärme-Rohr haben Rauh und Fahr bislang noch nicht gefunden. Aber das ist dann vielleicht auch die Aufgabe der Archäologen-Generation in 1000 Jahren.

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