Lukas Binder testet LVB-Jobs: Maschinenschlosser
von Franziska Jacob | 22.04.2025
von Leipziger Leben | 09.03.2020
Doppelhaltestellen sparen Platz, sorgen aber oft für Verwirrung bei Fahrgästen. Die Leipziger Verkehrsbetriebe testen ein neues System zur genauen Stellplatzanzeige an der Haltestelle.
Doppelhaltestelle Leipziger Hauptbahnhof. Ich komme gerade von der S-Bahn. Mein Kind im Kinderwagen, wie immer sind wir etwas spät. Laut App kommt meine Straßenbahn, die Linie 4 in zwei Minuten. Also beeile ich mich und erreiche kurz darauf Gleis 3 an der Doppelhaltestelle. Nun ist es Samstagnachmittag und das Gleis voller Menschen. Vorne hält gerade die Linie 15, dahinter steht eine weitere Straßenbahn. Aber welche? Laut Anzeige am Leipziger Hauptbahnhof müsste es die 4 sein. Ich versuche mich nach hinten durchzukämpfen. Das ist gar nicht so einfach. Viele Fahrgäste steigen gerade in die 15 ein und aus. Aber ich schaffe es und komme am hinteren Gleis an. Falscher Alarm, es ist die Linie 3. Die 4 folgt danach und hält natürlich – vorn.
Ganz schön nervig. Aber warum gibt es eigentlich Doppelhaltestellen? Und gibt es nicht doch eine Möglichkeit rechtzeitig zu wissen, wo die Straßenbahn halten wird? Ich habe bei den Verkehrsbetrieben nachgehakt.
Doppelhaltstellen. Rund 50 gibt es davon in Leipzig. Ich gebe es zu, ich bin kein großer Fan. Und so wie mir geht es wahrscheinlich vielen Fahrgästen. Natürlich haben Doppelhaltestellen auch Vorteile. Sie sparen Platz. Die Gleise müssen nicht in die Breite gebaut werden. Dadurch bleibt genug Raum für andere Verkehrsteilnehmer. Zum anderen sparen sie Zeit. Denn Straßenbahnen müssen nicht aufeinander warten, sondern können zeitgleich halten – Fahrgäste steigen ein und um – und die Fahrzeuge können gleichzeitig wieder abfahren. Theoretisch.
Das eigentliche Problem an Doppelhaltestellen ist, dass Fahrgäste oft nicht erkennen, wo die Straßenbahn hält – vorn oder hinten. Die digitale Anzeige entspricht nicht immer der tatsächlichen Reihenfolge. Das passiert dann, wenn etwas Unvorhersehbares passiert. Zum Beispiel, wenn ein Auto, warum auch immer, auf dem Gleis steht. Die Straßenbahn benötigt dann länger zum Hauptbahnhof und eine andere Linie fährt vor ihr ein. Die Konsequenz: Das Ein- und Umsteigen dauert länger und ist umständlich. Besonders für Fahrgäste, die nicht so gut zu Fuß oder im Rollstuhl unterwegs sind. Oder wie ich mit dem Kinderwagen.
Was also tun? Die Doppelhaltestellen abschaffen, so wie es jetzt die Baseler Regierung beschlossen hat? „Eine Herausforderung“, sagt Sven Schöne. Er ist Leiter der Verkehrswegeplanung bei den Leipziger Verkehrsbetrieben. „Oft ist es nicht möglich die Gleise in die Breite zu bauen. Sicher, an einigen Stellen könnte man überlegen die Haltestellen an unterschiedlichen Haltepunkten zu platzieren. Dann sind aber die Umsteigewege noch länger und für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste noch umständlicher.“
In Basel hat die Umstellung auf Einfachhaltestellen im Übrigen nicht nur Vorteile, wie die Baseler Zeitung feststellt. Zwar sind sie außerordentlich beliebt – rund dreiviertel der Baseler Fahrgäste bevorzugen die Einfachhaltestelle. Begründung: weniger Hektik, weniger gefährlich und bequemer. Auf der anderen Seite muss die Stadt viel Geld in den Umbau investieren, umgerechnet insgesamt rund 70.000 Euro. Hinzu kommen insgesamt rund 75.000 Euro zusätzliche Betriebskosten jährlich. Außerdem sind die Fahrgäste einfach länger unterwegs.
Und selbst, wenn die Abschaffung der Doppelhaltestellen in Basel funktioniert – Leipzig ist mit 600.000 Einwohnern wesentlich bevölkerungsreicher als die Stadt im Nordwesten der Schweiz. Darüber hinaus hat Basel insgesamt 5, Leipzig rund 50 Doppelhaltestellen. Jetzt kann man sich ungefähr ausrechnen, wie viel die LVB investieren müsste, um die Umstellung zu finanzieren. Da sind andere Investitionsvorhaben gerade um einiges wichtiger für den ÖPNV in Leipzig.
Fassen wir kurz zusammen: Die Leipziger Doppelhaltestellen haben viele Vorteile, sind bei Fahrgästen aber nicht immer so beliebt. Jedoch würde ein Modell nach Baseler Vorbild in Leipzig wahrscheinlich nicht überall funktionieren.
Die Leipziger Verkehrsbetriebe haben da eine andere Idee: Stellplatzprognosen. Bei diesem sperrigen Begriff handelt es sich um ein System, das sehr genau voraussagen kann, ob die Straßenbahn vorn oder hinten hält. Dahinter steckt ein komplexes Rechenverfahren. Anhand verschiedener Einflusskriterien wird die Einfahrreihenfolge kontinuierlich neu berechnet. Also Fahrzeit, Verkehrsaufkommen oder Wartezeiten an einer Ampel. Für die Prognose ist es übrigens egal, ob die Bahn pünktlich ist oder nicht. Es zählt einfach die Ankunft an der Haltestelle.
Bei der Entwicklung wurden die Verkehrsbetriebe von der TU Dresden unterstützt. Seit 2017 entwickeln die LVB in Zusammenarbeit mit dem dort ansässigen Lehrstuhl für Verkehrsleitsysteme und Prozessautomatisierung gezielt das Verfahren im Testlabor.
Das im Labor simulierte Verfahren wird jetzt im Praxistest auf die Probe gestellt. Vom 9. bis zum 29. März wird das System an der Haltestelle Hauptbahnhof, am Gleis 3 getestet – genau drei Wochen vor Baubeginn an der Haltestelle Goerdelerring. Dazu muss man wissen, während der Bauarbeiten kann genau dieses Gleis zeitweise nicht befahren werden. Warum also tun die sich das an, fragt sich der Bürger. Sven Schöne erklärt das folgendermaßen: „Durch den Test unter realen Einsatzbedingungen können wir die Schwachstellen des Systems erkennen und das Verfahren verbessern. Mit der Wiedereröffnung der Haltestelle Goerdelerring steht unseren Fahrgästen dann das optimierte System am Hauptbahnhof zur Verfügung.“
Die Stellprognose wird während des Tests über zwei zusätzliche Anzeigen dargestellt. Diese benötigen wir, da die jetzigen Anzeigen die Daten für die Prognose nicht verarbeiten können, sagt Sven Schöne. Läuft alles erfolgreich, soll das System an weiteren Doppelhaltestellen installiert werden. Dafür prüfen die LVB aktuell, ob das Verfahren theoretisch auch an anderen Doppelhaltestellen angewendet werden kann. In Zukunft ist außerdem geplant, dass die Prognose in anderen Auskunftssystemen eingebettet wird. Dann können Fahrgäste – zum Beispiel in der App – sehen, wo die Wunschlinie hält.
Übrigens, die Stellplatzprognose ist eine absolute Neuheit und bisher für Straßenbahn- und Bussysteme in dieser Form einzigartig. Die Projektbeteiligten hoffen auf die Unterstützung der Fahrgäste. Dafür haben Sie eine E-Mail-Adresse eingerichtet. Unter halteplatz.verkehrsbetriebe@L.de können Hinweise, Anregungen oder Probleme gemeldet werden.
Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass die Verkehrsbetriebe mit den Verkehrsexperten aus der Landeshauptstadt zusammenarbeiten. Das Pilotprojekt zur Stellplatzprognose ist Teil des Programms Chamäleon. Damit entwickeln die Leipziger Verkehrsbetriebe seit 2011 verschiedene innovative Möglichkeiten, um den ÖPNV effektiver zu gestalten. Der Name ist angelehnt an Leipzig als Zoo-Stadt und steht für die flexible Anpassung an unterschiedliche Verkehrssituationen, so zum Beispiel die intelligente Steuerung von Ampeln und der Einsatz eines Fahrerassistenzsystems.
Gefördert wird das Programm von der Europäischen Union, dem Bund und dem Land Sachsen. Und die Fördergelder sind gut angelegt. Schließlich spielt der ÖPNV eine Schlüsselrolle im zukünftigen Mobilitätskonzept Leipzigs.
Dies ist ein Gastbeitrag unserer Kollegin Viktoria Finck von den Leipziger Stadtwerken.