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Neue Maschen fürs Netz: Wie das Leipziger Stromnetz ausgebaut wird

von Simone Liss | 18.07.2025

Der Ausbau des Stromnetzes ist ein entscheidender Hebel für die Wärmewende in Leipzig. Die Stadt wächst und mit ihr die Herausforderungen für die Infrastruktur. 

Die Stromversorgung einer Großstadt wie Leipzig – eine hochspannende Angelegenheit.

Die Stromversorgung einer Großstadt wie Leipzig – eine hochspannende Angelegenheit.

„Und wirklich ist es schon so weit, dass jeder nach dem Knipslicht schreit“ – so lautet ein Werbeslogan der Leipziger Elektrizitätswerke im Jahr 1926, der jeden Haushalt zur Nutzung elektrischer Energie auffordert. Zwischen 1870 und 1910 wird der urbane Raum regelrecht umgepflügt und viele Häuser werden an ein Stromnetz angeschlossen. Hundert Jahre später steht die Stadt erneut vor einer umfassenden Weiterentwicklung der Versorgung mit elektrischer Energie. Denn mehr als 130.000 Menschen sind in den vergangenen 20 Jahren dazugekommen – und alle brauchen mehr Strom.

Ausbau des Leipziger Stromnetzes: Wieso? Weshalb? Warum?

Sie tauchen nicht ab, wenn es herausfordernd wird: Theresa Wagner von den Leipziger Stadtwerken und Volker Niegel von der Netz Leipzig.

Sie tauchen nicht ab, wenn es herausfordernd wird: Theresa Wagner von den Leipziger Stadtwerken und Volker Niegel von der Netz Leipzig.

Die Spinne und die Fliege können an diesem Sommerabend im Ökobad Lindenthal keinen Kompromiss schließen. Ein dramatisches Schauspiel. Die Frösche wollen es nicht sehen und tauchen ab. Die Seerosen schließen ihre Köpfchen. Das Teichhuhn verstummt. Den Kopf einzuziehen, abzutauchen, zu schweigen: probate Mittel, um Kritiken, Konflikten, Krisen aus dem Weg zu gehen. Im Rathaus von Lindenthal, gleich neben dem Ökobad, ist diese Strategie unnötig. 

Im pittoresken Ratssaal mit Linoleum, Lüstern und Lammellenheizkörpern tauchen an diesem Sommerabend unter anderem Volker Niegel (Grundstücksmanager der Netz Leipzig) und Theresa Wagner (Akzeptanzmanagerin der Leipziger Stadtwerke) bei der Ortschaftsratssitzung auf, um mit dem Lindenthaler Ortsvorsteher Thomas Hoffmann und seinen Ortschaftsräten auf einen Nenner zu kommen. Eine spannende Sache. Es geht um den Ausbau des Leipziger Stromnetzes, insbesondere um den Bau eines Umspannwerkes in Lindenthal. Der Bereich um die Erich-Thiele-Straße wurde im Rahmen der strategischen Netzplanung durch die Netz Leipzig als ein sogenannter Lastschwerpunkt erkannt – also als ein Gebiet mit künftig stark wachsendem Strombedarf. Wieso? Weshalb? Warum? Berechtigte Fragen. Schließlich geht es um die Zukunft des Leipziger Stadtteils und seiner 7000 Einwohner. 

Beherzt und offen machen Niegel und Wagner das, was viele Menschen flapsig als blankziehen bezeichnen würden: Sie packen aus. Als Ideal-Grundstück wurde das Gelände der ehemaligen Gärtnerei Schlegel an der Erich-Thiele-Straße identifiziert. Was hier möglichweise bis zum Jahr 2030 entstehen soll: ein Umspannwerk in teilweise umhauster Bauweise, mit einer Leistung von 40 Megawatt, mit zwei jeweils 60 Tonnen schweren Transformatoren („auf dem Weltmarkt gerade Mangelware“). Die Kosten inklusive Kabeltrasse und Zuwegung betragen rund 30 Millionen Euro. Das Grundstück, das die Stadt Leipzig gemeinsam mit der Netz Leipzig dafür identifiziert hat – eine Brachfläche in der Größe eines Hektars – ist im Vergleich zu anderen freien Grundstücken im Suchradius von fünf Kilometern bestens geeignet. „Das Grundstück liegt in direkter Nähe zur 110-Kilovolt-Hochspannungsfreileitung der Mitnetz. Das würde den Bauaufwand reduzieren sowie die Kosten und die Netzverluste geringhalten. Außerdem liegt die Brachfläche im identifizierten Lastschwerpunkt, was kurze Wege zu den Verbrauchsschwerpunkten bedeuten würde“, sagt Niegel. 

Claudia Scharf, Liegenschaftsmanagerin der Netz Leipzig, sitzt an diesem Abend auch im Publikum und verfolgt die Ortschaftsratssitzung. Sie versteht das Bestreben des Gremiums, den optimalen Standort für Lindenthal und seine Bewohner finden zu wollen. Doch zumeist durchkreuzt die Machbarkeit Hoffnungen und Wünsche: „Das Stadtplanungsamt schafft zunächst die substanziellen und belastbaren Planungsgrundlagen und prüft unter anderem mit Blick auf die Eigentumsverhältnisse und die Entfernung zum Netzknotenpunkt, welche Grundstücke überhaupt infrage kommen. Erst dann fangen wir detailliert an zu untersuchen, welche Grundstücke sich als realistisch und geeignet erweisen. Wir agieren dabei mit höchstem Augenmaß und Verantwortungsbewusstsein.“

Lindenthal am Limit

Beim Stromnetzausbau geht es vor allem um die optimale Verteilung von Lasten. Die Lastdichte bezeichnet die Leistungsaufnahme eines bestimmten Gebiets, oft im Verhältnis zur Fläche oder Anzahl der angeschlossenen Verbraucher. Eine hohe Lastdichte in einem Gebiet bedeutet, dass dort viele Verbraucher angeschlossen sind, was höhere Anforderungen an das Stromnetz stellt. „In der Vergangenheit hatte Lindenthal eine geringere Lastdichte und konnte über Umspannwerke in anderen Ortsteilen mitversorgt werden. Vor dem Hintergrund der Energie- und Wärmewende ändert sich dies jedoch grundlegend“, so Niegel. „Ladeinfrastruktur für E-Mobilität, neue Wohnhäuser, Wärmepumpen, Smart Home sowie mögliche Gewerbeansiedlungen aufgrund der Nähe zum Flughafen, zu Porsche und Logistikzentren – der Energiehunger wächst, und wir sind in Lindenthal am Limit. Aktuell haben wir mit einem Leistungsbedarf von durchschnittlich acht Megawatt die Grenze des Netzes erreicht. Mittelbar sind für den Ortsteil eine Verdopplung bis Verdreifachung dieser Leistung prognostiziert – es wird allerhöchste Zeit zu handeln.“

Was Niegel erzählt, ist kein Offenbarungseid, sondern nüchterne Realitätsbeschreibung. Der Netz-Spezialist skizziert die aktuell erreichten Grenzen des Wachstums. Denn Leipzigs Einwohnerzahl wächst, der Energieverbrauch in modernen Zeiten nimmt zu und immer mehr Hauseigentümer entscheiden sich für PV-Anlagen und Wärmepumpen. Allein auf Einrichtungen der Stadt wurden in den vergangenen Jahren knapp 40 PV-Anlagen installiert, mit einer Gesamtleistung von 2,1 Megawatt Peak. Die Einspeisemengen von Balkon-PV-Anlagen stieg im Gebiet der Netz Leipzig innerhalb von fünf Jahren von 5.000 auf 1.580.000 Kilowattstunden.

Strapaze für Netzbetreiber und Bürger

Warnung vor Hochspannung und Lebensgefahr: Die Sicherheit von Umspannwerken im Stadtbereich wird durch strenge Vorschriften, technische Schutzmaßnahmen und sorgfältige Arbeitsabläufe gewährleistet, um Gefahren wie Stromüberschlägen und Unfällen zu minimieren.

Warnung vor Hochspannung und Lebensgefahr: Die Sicherheit von Umspannwerken im Stadtbereich wird durch strenge Vorschriften, technische Schutzmaßnahmen und sorgfältige Arbeitsabläufe gewährleistet, um Gefahren zu minimieren.

Damit wachsen die Herausforderungen an die Infrastruktur. Der Ausbau der Strom- und Wärmenetze für die sichere Versorgung von morgen und die Integration erneuerbarer Energien sind eine Herkulesaufgabe, die sich lohnt. Die erreichten Limits gilt es aufzulösen, um Versorgungssicherheit und weitere Wachstum in der Stadt zu sichern. Es geht nicht nur darum, Leitungen zu bauen, sondern unterschiedliche Systeme aufeinander abzustimmen – zeitlich, wirtschaftlich, technisch sicher und sozialverträglich. „Das ist eine große Verantwortung für uns Netzbetreiber und eine hohe Belastung für alle Bürger der Stadt“, sagt der Infrastruktur-Manager der Netz Leipzig, Jan Schubert. Der 41-Jährige weiß, wovon er spricht. Er selbst wohnt mit seiner Familie in der Südvorstadt und damit im zukünftigen Pilotquartier der Wärmewende. Diese soll hier in Form des Fernwärmeausbaus eine Nagelprobe erfahren. „Wie wollen dabei sehr viel lernen: Wie reagieren die Anwohner? Was bewegt sie? Wovon lassen sich Hausbesitzer leiten? Welche Hürden gibt es? Wie lange dauern Genehmigungen? Wie funktioniert die Baukoordination? Und vieles mehr. Die Erschließung dieses Gebiets ist ein Testlauf, der uns zeigt, was später anderswo womöglich auf uns zukommt, ohne das große Ganze aus dem Blick zu verlieren: den Ausbau der Wärme- und Stromnetze.“

Dazu braucht es nicht nur Mut und Kompromissbereitschaft, sondern auch Geld. Jedes Jahr investieren die Leipziger Stadtwerke einen dreistelligen Millionenbetrag in die Leipziger Netze und Erzeugungsanlagen. Zurzeit gibt es in Leipzig 17 Umspannwerke, die die Stromversorgung sicherstellen. Diese Anlagen verbinden das vorgelagerte Hochspannungsnetz mit dem städtischen Mittelspannungsnetz und ermöglichen so eine zuverlässige Versorgung von Haushalten, Gewerbe und Infrastruktur. Um den wachsenden Strombedarf zuverlässig decken zu können, ist zunächst der Bau von sieben neuen Umspannwerken sowie rund 500 Trafo-Stationen und der Ausbau von zirka 350 Kilometern Mittelspannungsleitungen vorgesehen.

Hier sollen die neuen Umspannwerke entstehen:

  • im Stadtteil Stötteritz
  • im Stadtteil Lindenthal
  • im Stadtteil Rückmarsdorf
  • im Bereich Wiederitzsch/Seehausen/Plaußig
  • im Bereich Zentrum/Zentrum-Süd/Südvorstadt/Schleußig/Plagwitz/Lindenau/Leipzig-West
  • im Raum Mölkau/Engelsdorf/Holzhausen/Liebertwolkwitz

 

Akzeptanz ist das A und O

Es ist mehr als 20 Jahre her, dass in Leipzig die bislang letzten Umspannwerke erneuert wurden – in der Dauthestraße und Nonnenstraße. Als letztere Anlage im Jahr 2004 fertig wurde, lag Leipzigs Einwohnerzahl bei unter 500.000. Inzwischen sind mehr als 130.000 Einwohner dazugekommen – mehr als in ganz Jena leben. Und alle wollen sich auf Energie verlassen können. „Damals haben wir einfach geplant und gebaut. Beteiligung war für uns Netzer kein Thema. Was technisch notwendig war, wurde gemacht. Heute ist das anders und das ist gut so“, sagt Niegel und lacht seine Kollegin, Theresa Wagner, an. Sie ist seit April diesen Jahres bei den Leipziger Stadtwerken fürs Akzeptanzmanagement zuständig und organisiert unter anderem verschiedenste Beteiligungsformate – Dialogrunden, Info-Veranstaltungen, die Teilnahme an Ortschaftsratssitzungen wie in Lindenthal. „Die Resonanz ist bisher großartig. Viele Leipziger interessieren sich für die Energiewende in ihrer Stadt und sind offen für Sachargumente und halten nicht mit konstruktiver Kritik hinter dem Berg. Das ist gelebtes Engagement, welches wir weiter fördern wollen. Abzutauchen ist für uns keine Option.“ 

Beide, Theresa Wagner und Volker Niegel, werden bis zum Herbst in vielen Ortschaftsratssitzungen die Pläne der Netz Leipzig vorstellen und versuchen, den Puls der Stadt zu spüren. Auch nach Lindenthal werden beide zurückkehren. Ortsvorsteher Thomas Hoffmann erwartet ein Prüfergebnis. Niegel und Wagner sollten ausloten, ob es möglich ist, auf dem Gelände des neuen Umspannwerkes eine Streuobstwiese oder Hochbeete anzulegen beziehungsweise eine Sitzgelegenheit mit Blick ins Grüne zu schaffen. Damit man auch dort das Schauspiel zwischen Spinne und Fliege verfolgen kann. 

17 Umspannwerke - damit das mit dem Strom aus der Steckdose klappt

Die Netz Leipzig GmbH, ein Tochterunternehmen der Leipziger Stadtwerke, ist für den Transport und die Verteilung des Stroms in Leipzig in einem rund 3500 Kilometer langen Stromnetz verantwortlich. In gegenwärtig 17 Umspannwerken im Stadtgebiet und mehr als 1000 Trafostationen wird der Strom von Hoch- auf Mittelspannung beziehungsweise von Mittel- auf Niederspannung transformiert. Der Strom, der in konventionellen Kraftwerken erzeugt wird, hat üblicherweise eine Spannung zwischen 10 und 27,5 Kilovolt (kV). Das ist für die heimische Steckdose zu viel, für den möglichst verlustarmen Transport des Stroms über größere Entfernungen aber noch immer zu wenig. Der Strom muss deshalb durch Transformatoren auf bis zu 380 kV hochgespannt und dann wieder schrittweise auf die Steckdosenspannung von 230 Volt heruntertransformiert werden.

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