26 KOLUMNE Welche Farbe hat der Montag? Synästheten fühlen Farben. Wie es sich damit lebt, verrät die Leipziger Malerin und Kunsttherapeutin Susanne Meister. Buchtipp Welche Farbe hat der Montag? Synästhesie: das Leben mit verknüpften Sin- nen, von Hinderk M. Emrich, Udo Schneider und Markus Zedler So lange ich denken kann, visualisiere ich Ziffern, Buchstaben, Monate und Wochentage mit Farben. Ich mache das nicht willentlich. In meinem Kopf erscheint einfach immer eine Farbe, wenn ich die SUSANNE MEISTER Grafik-Designerin, Künstlerin, Kunst- therapeutin und Yogalehrerin lebt und arbeitet seit 14 Jahren in Leip- zig. In ihrem Atelier leitet sie Kunst- kurse für Kinder, Jugendliche und Erwachsene www.susanne- meister.de LEIPZIGER LEBEN . 02–2019 entsprechende Ziffer höre oder den Buchstaben, den Wochentag oder den Monat. Diese Farben sind immer schon da gewesen und es sind stets dieselben. Die Sieben ist zum Beispiel immer grün. Mein Mittwoch ist rot und mein Montag ist hellblau. Empfindsame Wahrnehmung Als Kind fand ich das ganz normal. Erst allmählich wurde mir be- wusst, dass andere nicht ständig mit einem bunten Film im Kopf herumliefen. Ich wurde mir selbst unheimlich. Wollte ich doch gar nicht anders sein. Also nahm ich mir vor, es strikt zu ignorieren und auf keinen Fall darüber zu sprechen. Die Farben aber gingen davon nicht weg. Erst als Erwach- sene – während meiner Kunstthe- rapie-Weiterbildung – erhielt ich meine Diagnose: Graphem-Farb- Synästhesie. Synästhesie bedeutet im Altgriechischen ,Mitempfinden’. Synästhetiker-Gehirne weisen eine besonders ausgeprägte Zusam- menarbeit zwischen bestimmten Arealen auf. Deshalb folgen auf einen Reiz zeitgleich zwei Antwor- ten. Also keine Krankheit, nur eine spezielle Form der Wahrnehmung – puuh, Gott sei Dank! Das geht aufs Gemüt Heute empfinde ich die Synäs- thesie als eine schöne Form des „Andersseins“. Jeder Mensch ist einzigartig und sieht die Welt mit seinen Augen. Diese Erkenntnis hilft mir auch bei meiner Arbeit als Kunsttherapeutin. In der Kunst- therapie ist die Farbigkeit eng ver- knüpft mit Emotionen. Wir bringen beim Malen mit Farbe Gefühle zum Ausdruck, wobei jeder Einzelne Farben unterschiedlich empfindet. Dennoch können wir ein Bild allein über seine Farbigkeit lesen. Kühl oder warm, kräftig oder zart, pastellig, klar, verwaschen, grell – ich kann Farben auf einem Bild ganz objektiv beschreiben und daraus unter Vorbehalt auch Rückschlüsse auf die Gemütslage eines Klienten ziehen und nach einem Bezug fragen. Aber vorsich- tig: Wie alle Dinge im Leben haben auch Farben zwei Gesichter: In der Symbolik kann etwa Rot für Liebe, Kraft und Leben stehen, aber auch für Gefahr oder Wut. So wie wir uns durch Farbe aus- drücken können, kann die Farbe, die wir betrachten, auch Gefühle auslösen. Das macht man sich bei der Gestaltung von Räumen zunutze. Mit Sicherheit würde ich einem sehr temperamentvollen Menschen nicht unbedingt zu kräftigem Rot an der Wand raten, sondern eher eine zartere oder kühlere Farbe vorschlagen.“ r e t s i e M e n n a s u S : s o t o F